Gottfried Pott ist ein virtuoser Kalligraph. Nun zeigt er, dass auch ein ausgefallenes Werkzeug zu einer guten Schrift führen kann. Für seine neue Schrift Potpourri franste er das Ende von Plastik-Stohhalmen aus und nutzte sie als Schreibgerät. Wie Pott damit lesbare Buchstaben auf Papier bringt, kann man hier anschauen. Heraus kam eine spontanwirkende, lebendige Kalligrafie-Schrift, die von Linotype vertrieben wird. Bis zum 12. November 2010 kann die Schrift zum Einführungspreis von neun Euro (zuzüglich Mehrwehrtsteuer) lizensiert werden.
Die Potpourri Pro verfügt über einen erweiterten lateinischen Zeichensatz und beinhaltet 568 Glyphen. Davon sind bis auf das normierte Schätzungszeichen (Estimated-Symbol; Unicode U+212e) alle konsequent durchgestaltet. Alternativen gibt es für die Buchstaben A E, H, J, O, Y, e, n, o, t, u und deren Pendants mit diakritischen Zeichen sowie für B, Ü, M, &, €, !, ?. Für die Buchstaben a, g, r, s und deren Entsprechung mit Häkchen und Ösen sowie für b gibt es je zwei Alternativformen. Folgende Ligaturen bietet die Potpourri Pro: ff, ffi, ffl, fi und fl. Bei den Zahlen handelt es sich um proportionale Versalziffern. Weiterhin sind die hochgestellten Zahlen Eins bis Fünf, Sieben und Acht vorhanden. Sechs, Neun und Null fehlen! Als vorgefertigte Brüche sind enthalten: 1/4, 1/2, 3/4, 1/3, 2/3, 1/8, 3/8, 5/8 und 7/8. Andere Brüche können mangels Nenner-Ziffern nicht automatisch erzeugt werden.
Die Potpourri ist für den Displaybereich zugerichtet. Es empfiehlt sich, sie ab 72 Punkt zu setzen. Ihre Eigenheiten kommen erst in so großen Schriftgraden zur Entfaltung; dann sieht man, wie Pott neben den groben Grundstrichen feine serifenartige Schraffen angesetzt hat.
Fazit
Für den Anwendungsbereich, für den die Potpourri prädestiniert ist, kann man über die fehlenden Bruchziffern hinwegsehen. Bei einem Preis von unter zehn Euro kann man nicht meckern– auch wenn ich von einer Pro-Schrift aus einer renommierten Schriftschmiede mehr erwarte.
Mit der Verwendung der Alternativen sollte man nicht sparen, um den handschriftlichen Effekt der Schrift zu verstärken. (Zitat: Linotype)
Dafür sind es dann doch zu wenig Alternativzeichen. Gerade bei den Minuskeln hätte ich mir mehr Abwechslung – und seien es auch nur Nuancen – gewünscht. Für den Initialgebrauch würden Schwungbuchstaben gut tun. Auch zeigen andere Scripten, wie sich die Alternativen automatisch je nach Kontext einfügen. Diese Opentype-Möglichkeit schöpft die Potpourri leider nicht aus.
Einwand von Dan Reynolds
Ich habe eine ganz kleine Rolle in der Entstehung des Fonts gehabt, und freu mich, dass die Schrift jetzt am Markt ist.
Du schreibst, »auch wenn ich von einer Pro-Schrift aus einer renommierten Schriftschmiede mehr erwarte.«
Das kann ich verstehen. Ich selber freue mich über ein Vielfalt an OpenType-Features in Fonts. Aber die Beziechnung Pro bei uns (und auch bei Adobe, die diese Bezeichnung meines Wissens nach ins Leben gerufen haben) spricht die Anzahl an OT-Features gar nicht an. Pro ist lediglich eine Versprechen, dass eine Font-Datei eine Mindestanzahl an Zeichen unterstützt … also in Prinzip die alten West-European-, Central-European-, Baltic- und Turkish-Zeichensätze, die in der PostScript-Ära als getrenne Fonts geliefert werden mussten. Mehr Info über unsere Character-Sets kannst du auf unserer Webseite finden.
Schau mal die Poetica Std von Adobe an. Da ist eine wunderschöne Reihe an OT-Alternates vorhanden! Der Font heißt Std und nicht Pro, weil er zum Beispiel keine Unterstützung für Polnisch oder Türkisch anbietet. Andere Hersteller mögen die Bezeichnung Pro für die OT-Feature-Beschreibung verwenden, aber die größten Font-Hersteller (Adobe, ITC, Linotype, Monotype, …) machen das nicht.
Zur Person
Gottfried Pott wurde 1939 in Lahnstein geboren. Er studierte von 1959 bis 1963 Graphik-Design mit dem Schwerpunkt Schriftgraphik an der Werkkunstschule Wiesbaden. Sein Professor war Friedrich Poppl, der Schöpfer der Poppl-Antiqua, Poppl-Exquisit, Poppl-Fraktur, Poppl-Laudatio, Poppl-Pontifex und der Poppl-Residenz. Gleichzeitig absolvierte Pott ein Studium der Malerei und der Musik. Nach seinem Abschluss als Diplom Graphik-Designer war er als Layouter und Art-Direktor tätig. 1974 machte er sich als freischaffender Graphik-Designer selbständig. Von 1988 bis 2003 war er Professor für künstlerische Kalligraphie, Schriftdesign und Schriftgeschichte an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim. Im Verlag Hermann Schmidt, Mainz, veröffentlichte Pott die Titel »Kalligrafie – Erste Hilfe und Schrift-Training« und »Kalligrafie – Intensiv-Training«. Ein weiteres Buch namens »Kalligrafische Sinfonien« ist in Vorbereitung.
Weiterführende Verweise
Linotype: Potpourri
Verlag Hermann Schmidt: Gottfried Pott
Schriftmuster
[Thomas Kunz, 2010-10-15]